Obwohl es eine Binsenweisheit ist, dass die biologische Vielfalt die wesentliche Grundlage für das Leben und die Gesundheit des Menschen darstellt, ist selbige seit Jahren im Schwinden begriffen. Da sie nicht nur den Reichtum an Arten bei Pflanzen und Tieren sondern auch die Vielfalt an Lebensräumen umfasst, kann nur ihr Schutz auch künftigen Generationen eine nachhaltige Nutzung dieser Lebensräume sichern.
Im Landkreis Rotenburg (Wümme) wurden Natur und Landschaft durch jahrhundertelange Nutzung zu einer artenreichen Agrarlandschaft geformt. Dabei wurden die landschaftsprägenden Moore durch Trockenlegung und Torfabbau für die landwirtschaftliche Produktion erschlossen. Mit zunehmender Grünlandnutzung, in deren Folge auch die Auwälder gerodet und in Feuchtwiesen verwandelt wurden, konnte sich die Artenvielfalt in dieser Kulturlandschaft vorübergehend deutlich vermehren und einen Lebensraumgewinn verbuchen. Nutznießer dieser Entwicklung waren u.a. die Watvögel, wie Bekassine, Großer Brachvogel, Goldregenpfeifer, Grünschenkel, Kiebitz, etc. Diese, eng mit der Landwirtschaft verknüpfte positive Entwicklung, ist in den letzten Jahrzehnten leider in das Gegenteil umgeschlagen. Eine Intensivierung der Grünlandnutzung bei gleichzeitig einsetzendem Grundlandumbruch zugunsten der Gewinnung von zusätzlichem Ackerland, führte inzwischen zu einem so umfassenden Lebensraumverlust, dass die Anzahl der Vogelarten in unserer Kulturlandschaft stark rückläufig ist.
Als Reaktion auf diese bundesweite Entwicklung wurde die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ entwickelt, die auf der Basis von sogenannten Indikatoren jährlich Informationen zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität, letztlich also zur Nachhaltigkeit der Landnutzungen, liefert. Für den Hauptlebensraum, bzw. Landschaftstyp „Agrarlandschaft“ bilden die repräsentativen Vogelarten Braunkehlchen, Feldlerche, Goldammer, Grauammer, Heidelerche, Kiebitz, Neuntöter, Rotmilan, Steinkauz und Uferschnepfe den Indikator. Die Größe der Bestände spiegelt dabei die Eignung der Landschaft als Lebensraum für die ausgewählten Vogelarten wieder. Da neben Vögeln auch andere Arten an eine reichhaltig gegliederte Landschaft mit intakten, nachhaltig genutzten Lebensräumen gebunden sind, bildet der Indikator indirekt auch die Entwicklung zahlreicher weiterer Arten ab. Steigt die Qualität der Lebensräume in Folge einer Verringerung von Belastungen, einer Verbesserung der Nachhaltigkeit von Nutzungen oder einer erfolgreichen Umsetzung von Maßnahmen des Naturschutzes, drückt sich dies in der Regel in zunehmenden Bestandszahlen der ausgewählten Vogelarten und damit in einer positiven Entwicklung des Indikators aus.
Der Wert dieses Indikators für die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ist allerdings seit 1970 stetig gefallen und lag im Jahre 2008 bei nur noch 66%, des für das Jahr 2015 angestrebten Zielwertes. Das Bundesamt für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(BfN) kommt daher im Indikatorenbericht 2010 zu dem auch für unseren Landkreis zutreffendem Ergebnis: „Im Agrarland ist die Bestandssituation vieler Vogelarten kritisch. Vögel die auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, gehen – regional unterschiedlich – aufgrund der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung im Bestand zurück. Der regional zunehmende Grünlandumbruch und der steigende Energiepflanzenanbau können Auswirkungen auf Landschaftsqualität und Artenvielfalt haben“.
Nachdem im Rahmen des Naturschutzkonzeptes der Jägerschaft Rotenburg (Wümme) im Frühjahr mit der Anlage von Blüh- und Huderstreifen Rückzugsräume für Hase, Rebhuhn & Co. entstanden sind, sollen nun im Herbst mit der Anlage von sogenannten Lerchenfenstern die Lebensbedingungen der Feldlerche und anderer Bodenbrüter verbessert werden.
Lerchenfenster sind künstlich angelegte Fehlstellen im Wintergetreide, deren Ziel und Aufgabe es ist, Feldlerchen und Rebhühnern, beides bodenbrütende Leitarten der Feldflur, Brut- und Aufenthaltsplätze zu bieten und deren Bruterfolg zu erhöhen. Mit den Lerchenfenstern werden gezielt neue Strukturen geschaffen, von denen nicht nur Feldlerche und Rebhuhn profitieren. Auch Kiebitz und Feldhase nutzen die künstlichen Fehlstellen im Acker als Lebensraum und zur Jungenaufzucht. In England, wo das Konzept der Lerchenfenster entwickelt wurde, haben sich die Bruterfolge verdreifacht. Dabei sind es nicht die Fehlstellen selbst, die als Brutplätze genutzt werden, sondern deren Saumbereich. Hier verbergen Feldlerchen ihr lockeres Halmnest in einer Mulde aus feinen Gräsern und Getreideblättern. Die 3 bis 5 braun oder oliv gefleckten Eier werden allein von der weiblichen Lerche bebrütet.
Das Rebhuhn nutzt für den Neststandort ebenfalls die Randbereiche der künstlichen Fehlstellen – hier kann der Hahn seine Bewachertätigkeit besser ausüben. Die 8 bis 20, einfarbig graugrünen Eier, werden gut verborgen in einer Mulde abgelegt. Die Lerchenfenster selbst dienen als „Einflugschneisen“ und attraktive Aufenthaltszonen, die durch ihren lockeren Bewuchs zum einen ein freies Sichtfeld zur Feinderkennung bieten, zum anderen auch die Chance, rechtzeitig vor den Fressfeinden fliehen zu können. Ein weiterer Vorteil: Die schütter bewachsenen Saumbereiche trocknen nach Regenschauern schneller ab, so dass weniger Küken verklammen. Solche potentiellen Eiablageplätze sind bei den engen Saatreihenabständen im Getreideacker kaum mehr zu finden. Gelegeverluste, wie sie auf anderen Acker- und Grünflächen durch sehr frühe und eng gestaffelte Arbeitsintervalle (z.B. Schleppen, Walzen, Gülleausbringung mit Schleppschläuchen, Mahd, etc.) auftreten können, werden hier verhindert. Dabei ist die Anlage eines Lerchenfensters einfach: Der Landwirt hebt bei der Wintergetreideaussaat einfach für einige Meter die Sämaschine an, so dass eine etwa 20 Quadratmeter große Fläche unbestellt bleibt. Die Revierinhaber werben derzeit bei den Landwirten für eine Beteiligung an diesem Förderprogramm. Die Landwirte, die Lerchenfenster anlegen, leisten so einen wichtigen Beitrag zum Natur- und Artenschutz und erhalten für jedes Lerchenfenster als Nutzungsausfallentschädigung und zur Anerkennung eine Prämie.