Der Winter 2009/2010 präsentiert sich als Ausnahmewinter. Das spüren nicht nur die Autofahrer, die allmorgendlich mit vereisten, verschneiten und zum Teil auch mit verwehten Straßen zu kämpfen haben. Auch das Wild im Landkreis Rotenburg leidet unter der Kälte und dem Nahrungsmangel. Seit Wochen liegen Feld und Wald unter einer dicken Schneedecke. Durch den ständigen Wechsel von Tauwetter und Minusgraden hat sich inzwischen eine harte vereiste Schicht, sog. Harsch gebildet, der dem Schalenwild, wie Reh-, Schwarz- u. Damwild die Nahrungsaufnahme erschwert. Mit ihren empfindlichen Läufen haben sie oft Mühe, die Gräser, Bucheckern oder Eicheln freizuscharren. Besondere Not leidet jedoch das Niederwild, wie Hase, Kanin, und die sog. Körnerfresser, wie Fasan und Rebhuhn, da sie durch diese verharschte Schneeschicht kaum mehr an Nahrung kommen können. Auch Eulen und Greifvögeln fehlt inzwischen der Zugang zu ihrer Hauptbeute, der Maus, denn diese bewegt sich gut geschützt unter dieser verharschten Schneeschicht.
Diese eben geschilderte Situation, sowie die Wetterprognose für die nächsten Tage, hat den Kreisjägermeister Dr. Hermann Gerken veranlasst, mit sofortiger Wirkung den Beginn der Notzeit gemäß
§ 32 Abs. 1 NJagdG für den Bereich des Landkreises Rotenburg (Wümme) bekanntzugeben. Als gesetzliche Folge dieser Bekanntmachung haben die Revierinhaber für eine ausreichende artgerechte Ernährung des Wildes zu sorgen (Fütterungsgebot). Artgerechte Futtermittel sind Feld-, Baum- und sonstige Waldfrüchte, Heu und Silagen ohne Kraftfutterzusätze. Die Ausübung der Jagd (§ 1 Abs. 4 Bundesjagdgesetz) ist im gesamten Kreisgebiet bis zur Aufhebung der Notzeit nicht zulässig.
In der Notzeit ist unser Wild besonders auf Ruhe angewiesen, so Dr. Gerken. Jegliche Störung, die das Wild in dieser Zeit beunruhigt oder gar zu einem Fluchtverhalten zwingt, verbraucht Energie und zehrt die Reserven auf, die zum Überstehen des Winters zwingend benötigt werden und nicht ergänzt werden können, so Gerken weiter. Schalenwild, wie Dam- und Rehwild ist bei diesen Witterungsverhältnissen viel seltener auf den Läufen als noch im Herbst und erscheint damit fast unsichtbar. Beim Rehwild stellt sich zusätzlich ein Stoffwechseltief ein und es bewegt sich nur so wenig, wie nötig. Der Pansen verkleinert sich aufgrund der geringeren Nahrungsaufnahme in dieser Zeit um etwa 25-30 %. Neuste wissenschaftliche Erkenntnisse der Veterinärmedizinischen Universität Wien zeigen, dass Rotwild und Rehwild in Extremsituationen (harter Winter in den Bergen; meterhoher Schnee, Kälte und dabei kaum etwas zu fressen) sogar über eine bisher nicht vermutete Überlebensstrategie verfügt. Wenn es besonders schlimm wird, fallen die Tiere in eine Kältestarre, ähnlich dem Winterschlaf von Murmeltier und Bär. Die Körpertemperatur sinkt dabei auf - für andere Warmblüter absolut tödliche - 15 Grad und weniger. Auch wenn diese Extreme bei uns in Norddeutschland nicht vorherrschen, gilt folgende Schlussfolgerung: Im Winter brauchen unsere Wildtiere Ruhe mehr als alles andere.
Der Kreisjägermeister, sowie die Jägerschaft Rotenburg apellieren daher an Naturfreunde, Spaziergänger, Wintersportler Störungen zu vermeiden, indem sie die Wege nicht verlassen und Wildruhezonen sowie Dickungen nicht betreten, um das Wild möglichst wenig zu stören. Da insbesondere freilaufende Hunde das Wild beunruhigen und evtl. zur Flucht veranlassen, werden Hundehalter gebeten, ihre Hunde anzuleinen, auch wenn derzeit keine Anleinpflicht besteht, so Dr. Gerken.