In allen Regionen Deutschlands sind die Bauern bei der Getreideernte. Problem: Der Einzug modernster Technik hat den Erntevorgang inzwischen so beschleunigt, dass der Tierwelt die Möglichkeit der Gewöhnung genommen ist. Wo vor nicht allzu langer Zeit viele Menschen Tage gebraucht haben, um ein Weizenfeld zu mähen, benötigt ein moderner Mähdrescher heute nur wenige Stunden. Für die Landwirtschaft ein Segen, denn die Ernte wird in kürzester Zeit sicher eingebracht, bevor schlechtes Wetter und Schädlinge die Pflanzen gefährden können. Für das Wild bedeutet eine schnelle Ernte jedoch häufig einen Schock, da innerhalb nur weniger Stunden ganze Landschaften quasi ausgeräumt werden, ihr Lebensraum sich damit drastisch verändert.
Gab es für die Wildtiere wie Hase, Reh und Fasan in ihrem Lebensraum Feld, am morgen noch Äsung und Deckung im Überfluss, finden sie jetzt, nur Stunden später, an gleicher Stelle nur noch Stoppeln oder die nackte Ackerkrume vor. Auf uns Menschen übertragen, kommt diese Situation dem Verlust von Haus und Broterwerb an nur einem Tage gleich, denn für unsere Wildtiere sind nicht nur die Futterregale (Nahrung) plötzlich leer, sondern auch ihr seit Monaten angestammter "Wohnraum" (Deckung) ist wie von Zauberhand verschwunden.
Für die meisten Tierarten gilt es nun, sich neue Nahrungsquellen zu erschließen und neue Deckung zu suchen. Durch die Ernte und erneute Aussaat erfolgt eine anhaltende starke Beunruhigung des Wildes. Einzelnen Tierarten sind keine oder nur sehr geringe Rückzugsmöglichkeiten in der Landschaft geblieben. Sie erleiden nun zusätzlich noch einen starken innerartlichen Stress, da jedes Individuum versucht ein neues Territorium zu besetzen und es mehr oder weniger intensiv gegenüber anderen Artgenossen verteidigt. Dabei stoßen die Abwanderer auf bereits besetzte Lebensräume oder werden gar Opfer der Straße. Sie finden nun lange Zeit keine Ruhe. Der ständige Kampf führt zu Dauerstress, der sich auf die gesamte Population negativ auswirkt. Folge ist eine Schwächung der Tiere, die für den Beobachter meist durch ein geringeres Gewicht zum Ausdruck kommt und sogar die Überlebensfähig im nächsten Winter in frage stellen kann. Auslöser dieser Entwicklung war das, was der Fachmann schlicht als Ernteschock bezeichnet.
Für einige Tierarten ist ein ernsthafter Futtermangel entstanden, der oft schlimmer ist als jener im Winter, denn er entsteht zu einer Zeit, in der es gilt, möglichst große Fettreserven für die kalte Jahreszeit anzulegen. Sind die Felder leer, bleibt den Tieren zunächst nichts anderes übrig, als nach neuen Futterplätzen zu suchen. Während das Rehwild als typischer Waldrandbewohner bisher im Äsungsrhythmus zwischen Waldkante und Feld pendelte, versucht es nun im Wald ausreichend Nahrung zu finden. Das Schwarzwild weicht nach der noch erfolgenden Maisernte vollends in den Wald aus. Größter Verlierer der Erntephase sind die Feldhühner, wie Fasan, Rebhuhn und Wachtel. Das Rebhuhn ist unser typischstes Feldhuhn. Es meidet den Wald und verbringt selbst die Nacht in Deckung am Boden in der Feldflur. Es braucht eine strukturreiche Vegetation: nicht zu große Feldschläge, unkrautreiche Feldraine und Wegränder, Altgrasstreifen, Brachen, niedrige Gebüsche und Hecken. All dieses verschwand jedoch überwiegend aus der Landschaft, da eine eher industrielle Produktion den Einsatz von Maschinen in größerem Stil, auf größeren Flächen erfordert.
Das Anlegen neuer Hecken und Feldgehölze als Äsungsverbesserung und Deckung würde diesen Ernteschock mildern helfen, wäre damit äußerst wünschenswert, lässt sich aber aus den eben geschilderten und aus finanziellen Gründen nur zum sehr geringen Teil realisieren.
Die Jägerschaft Rotenburg hat in diesem Jahr begonnen im Rahmen eines Naturschutzkonzeptes sich aktiv für die Erhaltung einer artenreichen Feldflora einzusetzen, sowie das Landschaftsbild durch Schaffung neuer attraktiver Lebensräume für die Tierwelt in der Agrarlandschaft zu Bereichern. Mit finanzieller Unterstützung des Landkreises konnten im laufendem Jahr im Altkreis, auf 93.000 qm bisher intensiv bewirtschafteter Ackerfläche, sogenannte Blüh- und Huderstreifen angelegt werden. Es handelt sich dabei um Streifen mit einer Breite von mindestens 3 bis höchstens 24 Metern. Sie sollen zusätzliche Streifenstrukturen, Übergangsflächen und Verbindungskorridore zu ökologisch sensiblen Bereichen sowie Schutz-, Brut- oder Rückzugsflächen für Wildtiere und Wildkräuter in der Agrarlandschaft schaffen. Die Landwirte erhalten eine Entschädigung dafür, dass sie diese Flächen aus der Nutzung nehmen. Die Streifen wurden mit einer von der Jägerschaft bereitgestellten Saatmischung anlegt und dürfen nicht vor dem 1. Oktober umgebrochen oder anderweitig beseitigt werden. Bleiben die Streifen als Deckung und Äsung über den Winter bis mindestens 01. März des Folgejahres erhalten, wird dieses zusätzlich finanziell honoriert.
Wichtig ist natürlich in diesem Zusammenhang die Erhaltung noch vorhandener Rückzugsräume für die Tier- und Pflanzenwelt. Dieses wird inzwischen auch durch die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft gefördert. Die Direktzahlungsempfänger und Empfänger von Umstrukturierungs- und Umstellungsbeihilfen in der Landwirtschaft sind zur Einhaltung sog. Cross Compliance-Verpflichtungen angehalten. Zu diesen Verpflichtungen gehört u.a., dass mindestens 40 % der Ackerflächen eines Betriebes in der Zeit vom 1. Dezember bis 15. Februar entweder mit Pflanzen bewachsen sein müssen oder die auf der Oberfläche verbleibenden Pflanzenreste nicht untergepflügt werden dürfen. Außerdem ist die Beseitigung von Hecken oder Knicks (ab einer Länge von 20 Metern), von Baumreihen (mindestens fünf Bäume, mindestens 50 Meter lang), von Feldgehölzen (mindestens 100 Quadratmetern, höchstens 2.000 Quadratmetern), von Feuchtgebieten (höchstens 2.000 Quadratmeter) verboten. Ebenso ist es untersagt, mehr als 5% Dauergrünland umzuwandeln.
Auch die noch vorhandenen Ackerrandstreifen, Wegseitenränder und Gewässerrandstreifen könnten, würden sie nicht gemäht, unter den Pflug genommen oder von der Giftspritze verschont, als Ausweich-, Fortpflanzungs- und Entwicklungsraum angenommen. Gerade für bodenbrütende Vögel, Kleinsäuger, Amphibien, viele Insekten und Spinnen, die die Deckung der Vegetation benötigen, können sie eine wichtige Rolle spielen, da diese aufgrund der Bewirtschaftung oft keine Chance haben, ihre Brut und Jungenaufzucht im Acker selbst erfolgreich zu beenden. Diese Tiere verbringen dort die für sie ungünstige Zeit während und nach der Ernte, wenn auf dem Feld selbst durch die vollständige Beseitigung der Vegetation keine Nahrung zu finden ist, um später, wenn erneut Bewuchs auf dem Acker aufkommt, dorthin zurückzukehren. Auch der Wegfall eines großen Teils der Ackerbegleitstrukturen muss als einer der Gründe für die Artenverarmung in der Agrarlandschaft angesehen werden.
Die eben geschilderten Maßnahmen können helfen, den Ernteschock zu mildern, gänzlich verhindern können sie ihn nicht. Verhindert werden kann er nur dann, wenn auch nach erfolgter Ernte Äsung und Deckung, wenn auch nur im geringerem Umfange, zur Verfügung stünde. Dazu wäre es erforderlich flächendeckend sog. Untersaaten anzulegen, die dem Wild auch nach der Ernte der Hauptfrucht zur Verfügung stünden. Geeignet wären bei Getreide und Mais z.B. Gras- und Kleebestände, die sich relativ kostengünstig als Ansaat unter einer Deckfrucht anlegen ließen. Bei Versuchen in Nordrhein-Westfalen wurden Sonnenblume, Mais oder Gelbsenf in Kartoffeln als Untersaaten angebaut. Diese Untersaaten böten zusätzlichen Erosionsschutz, haben Stickstoffbindungspotenzial und würden gerade im Mais Auswaschungsverluste verhindern. Erfolgversprechend sind derzeit auch Versuche mit Mais, Sonnenblumen oder Hirse (Sorghum) im Zweitfruchtanbau. Zu realisieren wäre auch dies sicher nur über eine finanzielle Förderung.