Infolge des im Jahre 2000 in Kraft getretenen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat der Ausbau der Biogasnutzung im Landkreis Rotenburg (Wümme) enorm zugenommen. Der Landkreis weist mit seinen 136 Biogasanlagen nach dem Emsland (146 Anlagen) inzwischen die zweithöchste Anlagendichte in Niedersachsen auf. Mehr als 87% dieser Anlagen werden als sogenannte NaWaRo-Anlagen mit Energiepflanzen und Gülle betrieben, wobei der Mais aufgrund seiner beachtlichen Biomasseleistung und dem herausragenden Gasertrag die derzeit meistverwendete Pflanze darstellt. Aufgrund der verbesserten Einspeisevergütung für Biogasstrom aus Energiepflanzen (NaWaRo-Bonus) durch das 2004 novellierte EEG gewinnt Biogas inzwischen auch in Ackerbauregionen an Bedeutung.
Die hohe Dichte an Viehhaltungsbetrieben und Biogasanlagen und der damit verbundene Maisanbau haben dazu geführt, dass weite Bereiche der Kulturlandschaft im Landkreis Rotenburg (Wümme) inzwischen zu fast reinen Monokulturflächen geworden sind. Verstärkt wird diese Entwicklung durch den Schwund an landwirtschaftlicher Produktionsfläche infolge von Baumaßnahmen im Siedlungs- und Infrastrukturbereich sowie dem damit verbundenen Flächenverbrauch für Kompensationsmaßnahmen.
Diese Entwicklung stößt mittlerweile nicht nur bei großen Teilen der Bevölkerung auf Kritik und lässt die Akzeptanz für Bioenergie schwinden, sondern stellt auch für die im Landkreis heimischen Tierarten ein großes Problem dar. Während sich einige Arten dieser Entwicklung ohne große Schwierigkeiten anpassen können, hat insbesondere das Niederwild mit der veränderten Situation zu kämpfen. Das Niederwild bräuchte Rückzugsräume als Ersatz für diese intensiv bewirtschafteten Flächen. Kraut- und Blühstreifen, Feldgehölze und -raine, Gräben, Feuchtwiesen oder Trockenrasen wären solche Rückzugsräume, sind in dieser Kulturlandschaft aber leider nicht mehr im ausreichendem Maße vorhanden. Sie wurden im Rahmen der Flurbereinigungsmaßnahmen der 50er-Jahre weitestgehend zugunsten von zweckmäßig zu bewirtschaftenden agrarischen Flächen beseitigt.
Das Amt für Naturschutz und Landschaftspflege des Landkreises Rotenburg (Wümme) und die drei Jägerschaften des Landkreises (Bremervörde, Rotenburg und Zeven) haben ein Naturschutzkonzept entwickelt, dass auf Beschluss des Kreistages, mit derzeit 80.000 Euro pro Jahr finanziell unterstützt wird. Dieses Naturschutzkonzept, das sich inzwischen im dritten Jahr seiner Umsetzung befindet, zielt u.a. darauf ab, solche Rückzugsräume zu schaffen. Durch die Anlage von Blüh- und Huderstreifen soll eine artenreiche Feldflora erhalten, bzw. neue attraktive Lebensräume für die Tierwelt in der Agrarlandschaft geschaffen werden. Mit ihnen entstehen zudem neue Nahrungsquellen für viele nützliche Insekten wie Bienen und Schmetterlinge, sowie für Vögel oder kleinere Säugtiere. Insbesondere die Charaktertiere unserer Feldflur, die Rebhühner, profitieren während der Aufzucht ihres Nachwuchses von solchen Bereichen, die eine insektenreiche Vegetation bieten. Ein Mangel an Blüten bedeutet für sie letztlich weniger Insekten, damit mangelnde Nahrungsverfügbarkeit für den Nachwuchs und als Folge eine erhöhte Kükensterblichkeit.
Blühstreifen sind Strukturen die nicht nur Nahrung, sondern auch Deckung, Nistplätze und Überwinterungsquartiere bieten. Blühstreifen im Acker schaffen zudem Abwechslung im Landschaftsbild und wirken sich wohltuend auf den Erholung suchenden Menschen aus. Blühstreifen als Bejagungsschneisen angelegt, wirken den Bejagungsproblemen von Schwarzwild im Maisbestand entgegen. Durch sie können letztlich gemeinsame Ziele von Ackerbau, Biomasseproduktion, Jagd und Naturschutz in der Agrarlandschaft in Einklang gebracht werden. Für die Anlage der Blüh- und Huderstreifen auf intensiv genutzten Ackerflächen erhält der Landwirt eine Prämie pro Quadratmeter gezahlt, sowie die erforderliche Saatmischung gestellt. Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Blüh- und Huderstreifen keinen negativen Einfluss auf die Agrarförderung haben.
Im vergangenem Jahr wurden im Landkreis Rotenburg (Wümme) von den Jägerschaften zur Erhaltung und Schaffung attraktiver Lebensräume auf einer Fläche von 80 ha Blühstreifen angelegt. Hinzu kamen Blühstreifen, die auf Initiative der Biogasanlagenbetreiber unter dem Motto „Bunte Felder“ an Maisflächen, die für die Erzeugung von Bioenergie vorgesehen sind, als bunter Saum angelegt wurden. Für das Jahr 2013 haben die Jägerschaften die Anlage von 90 ha Blühstreifen geplant.
Das Blühstreifenprojekt weckt inzwischen auch das Interesse der Politik und der Forschung. Das Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (ML) fördert ein Forschungsvorhaben der Leibnitz-Universität Hannover, dass sich mit der Thematik „Nutzungsorientierte Ausgleichsmaßnahmen bei der Biogasproduktion – Untersuchung der Effektivität von nutzungsintegrierten Maßnahmen zur Kompensation von Eingriffen am Beispiel von Blühstreifen“ beschäftigt, mit insgesamt 130.000,-- Euro. Das Projekt, das unter der Leitung der Prof. Dr. Michael Reich und Prof. Dr. Michael Rode vom Institut für Umweltplanung steht, wird von der Doktorandin Dipl.-Ing. Nana Wix bearbeitet. Es erstreckt sich über den Zeitraum Juli 2012 bis Juni 2015 und hat u.a. zum Ziel, das Potenzial von Blühstreifen hinsichtlich ihres Einflusses auf die Ackerbiozönosen zu erforschen. Die Kernfrage lautet: „Was bedeutet ein ha Blühstreifen im Vergleich zur klassischen Kompensationsmaßnahme für die Artenvielfalt?“
Die im Landkreis Rotenburg (Wümme) im Rahmen des Naturschutzkonzeptes in unterschiedlichen Varianten angelegten Blühstreifen werden dazu wissenschaftlich untersucht und wo möglich weiterentwickelt. Das Naturschutzkonzept beinhaltet Blühstreifen, die sich nach Lage (z.B. im Schlag, am Rand oder an Wegen) und nach Dauer (einjährig, anderthalbjährig) unterscheiden. Zunächst gilt es die Frage zu beantworten, bei welcher Lage des Blühstreifen die Wirkung für die Tierwelt am größten ist. Diese Untersuchungen (momentan Wintervogeluntersuchung) laufen derzeit noch, so dass die Frage bisher noch nicht eindeutig zu beantworten ist. Es sieht jedoch so aus, dass es für einige Tierarten/ Insekten schwieriger ist, einen Blühstreifen im Maisschlag zu finden.
Es gilt bis Juni 2015 zwar noch eine ganze Reihe offener Fragen im Rahmen der Untersuchung zu klären, es konnten aber auch schon erste Erkenntnisse gewonnen werden, die momentan bereits in die Praxis umgesetzt werden. So wurde die bisher genutzte Saatgutmischung fortentwickelt. Nach einem Abgleich mit der, an der Göttinger Georg-August-Universität für das dortige Rebhuhn-Projekt entwickelten Saatmischung, wurde vom Institut für Umweltplanung eine veränderte Saatgutmischung vorgeschlagen.
Während der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe „Blühstreifenprojekt“, in der neben den Vertretern der Universität Hannover auch die Obleute für Naturschutz und die Vorsitzenden der drei Jägerschaften des Landkreises, Vertreter des Amtes für Naturschutz und Landschaftspflege des Landkreises, der Naturschutzbeauftrage des Landkreises und ein Vertreter der Landwirtschaftskammer vertreten sind, wurde auf Basis dieses Vorschlages die „Rotenburger Saatmischung“ kreiert. Bei dieser Mischung wurde sowohl die Zusammensetzung (Mischungsanteil, Samenanzahl, Dominanz) verändert, als auch die Saatgutmenge von bisher 12 kg/ ha auf nunmehr 8 kg/ ha reduziert. Es hatte sich bei der Untersuchung der bisherigen Blühstreifen gezeigt, dass sich eine zu hohe Pflanzendichte negativ auswirkt, es für die Biodiversität sogar von Vorteil ist, wenn Bestandslücken bleiben und eine eher uneinheitliche Struktur vorherrscht.
Mit dieser „Rotenburger Saatmischung“ werden im Frühjahr 90 ha Blühstreifen angelegt, die dann für weitere wissenschaftliche Untersuchungen genutzt werden. So stehen u.a. noch eine Sommervogel-, eine Tagfalter- und eine Käferuntersuchung auf dem Plan. All diese Untersuchungen werden mit Blick auf die mögliche Aufwertung des Ackers als Lebensraum für ausgewählte Artengruppen der Flora und Fauna, die Verbesserung des Landschaftsbildes und die Verbesserung der Bodeneigenschaften geführt. Als Vergleichsgrundlage dienen angrenzende Saumstrukturen und Maisäcker, die in die Untersuchungen mit einbezogen werden.
Das Forschungsprojekt könnte aber auch bundesweite Relevanz besitzen, da bei den Verhandlungen zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) derzeit diskutiert wird, ob bis zu 30 Prozent der Direktzahlungen als Umwelt-Prämie ausgezahlt werden sollten. In den Genuss dieser Prämie sollen nur die Landwirte kommen, die bestimmte ökologische Leistungen erbringen. Von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolo? wurde vorgeschlagen, das sieben Prozent der Acker- und Dauerkulturflächen je Betrieb für ökologische Zwecke aus der produktiven landwirtschaftlichen Nutzung genommen (sog. Greening) werden. Dieser Vorschlag stieß bei einigen Mitgliedstaaten jedoch auf massiven Widerstand. Daraufhin wurde vorgeschlagen, auch alternative Greening-Maßnahmen zuzulassen, wenn sie einen mindestens gleich hohen Umweltnutzen haben. Dieser Vorschlag wird von vielen Mitgliedstaaten unterstützt und soll dazu beitragen, wirksame Umweltverbesserungen ohne eine umfangreiche Herausnahme landwirtschaftlicher Nutzfläche aus der Produktion zu erzielen. Diese Forderung könnte der Blühstreifen erfüllen. Er bleibt in der landwirtschaftlichen Nutzung integriert, seine Biomasse könnte einer teilweisen Nutzung zugeführt werden und er ist in der Lage, der Fruchtfolge in der Fläche zu folgen.