Nun schon zum fünften Mal infolge trafen sich Falkner unter der Schirmherrschaft des Deutschen Falkenordens zu einer revierübergreifenden Beizjagd im Kreisgebiet. Man kann inzwischen wohl schon von einer Traditionsveranstaltung sprechen, wenn sich Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet im Dezember, in Hiddingen, im Gasthaus Röhrs versammeln. Für die Organisation zeichnet alljährlich der Falkner, Forstmann und Jäger, Hebert Meyer, aus Hiddingen, verantwortlich. Viele Revierinhaber im Altkreis hatten für das zweite Wochenende im Dezember ihr Einverständnis zur Bejagung der Krähen gegeben. So konnte an beiden Tagen, aufgeteilt in drei Gruppen, ganztägig in den Revieren die Beizjagd betrieben werden. Jäger und andere interessierte Beobachter ließen es sich nicht nehmen, den Falknern und ihren Greifvögeln bei dieser Form der Jagd zuzusehen.
Die Beizjagd ist eine nicht alltäglich zu beobachtende Form der Jagd, die ihre Ursprünge vermutlich vor rund 3.500 Jahren bei den nomadisch lebenden Reitervölker Zentralasiens hat. In den deckungslosen Ebenen der Steppe war der Greifvogel sehr viel zweckmäßiger einsetzbar als jede damals bekannte Waffe. Im Mittelpunkt der Beizjagd steht ein abgerichteter Greifvogel, dessen Jagdtrieb sich der Falkner zunutze macht. Aber längst nicht jeder Greifvogel ist für die Beizjagd geeignet. Zu den ungeeigneten gehören Seeadler, Raub- und Steppenadler, Geier, Gaukler, Milane, Weihen, Turm- oder Baumfalken, Wespen- , Rauhfuß- und Mäusebussard. Die Falknerei unterscheidet heute die Greifvögel vom Niederen Flug – Habichtartige, wie Habicht, Rotschwanzbussard, Wüstenbussard (Harris Hawk), Steinadler, etc. - und Vögel vom Hohen Flug, dieses sind die Großfalken. Zu ihnen zählen neben dem Wanderfalken, u.a. der Laggarfalke, der Lannerfalke, der Alphanetfalke, der rote und der schwarze Sahin, der königliche Gerfalke. Der Greifvogel, sei es Habicht oder Wanderfalke, misst sich bei seinen Jagdflügen mit seiner natürlichen Beute. Es ist also nicht der Mensch, sondern die Natur selbst, die den Ausgang dieser Begegnung bestimmt. Der Ablauf der Beizjagd stellt sich dem Beobachter wie folgt dar: Bei einem entsprechenden Krähenbild (vorhandener Schwarm), - für den Habicht bis in etwa 80m Entfernung, für den Falken in 100 bis 200m (kein Wald in der Nähe) - wird der Greifvogel zum Flug freigegeben. Hat der Vogel die Beute erfolgreich geschlagen, darf er seinen Erfolg eine Zeitlang genießen und von der Beute atzen (fressen), bis der Falkner ihn zurück auf die Faust nimmt. Auf dem Falknerhandschuh wartet dann das Fauststück (eine weitere Belohnung ). Die Greife dürfen allerdings während der Jagd nicht zuviel Nahrung aufnehmen, da sie sonst für weitere Flüge an diesem Tag nicht mehr eingesetzt werden können. Beeindruckend auch, wenn der Vogel nach einem erfolglosen Jagdflug zurück auf die Faust des Falkners kehrt. In der Falknersprache heißt das, der Vogel hat einen guten Apell, ist locke (zahm, vertraut). Die Jagdflüge der Vögel sind immer wieder ein ganz besonderes Schauspiel.
Ihrer langen kulturellen Entwicklung und Pflege entsprechend, wurde die Falknerei im November 2010 vom Zwischenstaatlichen Komitee der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in die "Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit" aufgenommen. Unter „immateriellem Kulturerbe“ sind alle Praktiken, Darbietungen, Ausdrucksformen, Kenntnisse und Fähigkeiten – sowie die damit verbundenen Instrumente, Objekte, Artefakte und Kulturräume - zu verstehen, die Gemeinschaften, Gruppen und ggf. Individuen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen. In den Vereinten Arabischen Emiraten ist die Falknerei beispielsweise Staatskultur. Der Aufnahmeantrag für die Falknerei wurde durch 12 Staaten (Belgien, Frankreich, Katar, Marokko, Mongolei, Saudi-Arabien, Slowakei, Spanien, Südkorea, Syrien, Tschechische Republik, Vereinigte Arabische Emirate) unterzeichnet. Die Liste des „immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ beinhaltet derzeit 314 kulturelle Ausdrucksformen aus allen Weltregionen. Neben der Falknerei sind darin u.a. der argentinische Tango, die türkische Kaffekultur, das Krabbenfischen auf dem Pferderücken in Oostduinkerke, Belgien, die Chor- und Tanztradition im Baltikum, die "Castells" - Menschentürme von Katalonien, u.v.m. verzeichnet. Einen deutschen Beitrag vermisst man allerdings in dieser Liste. Es liegt wohl nicht daran, dass wir über keine Kultur verfügen, als vielmehr an politischen Bedenken, man würde mit der Anerkennung von „lebendiger Kultur“ Denkmäler und Welterbestätten zu „toten Elementen“ abwerten. Auch wenn Deutschland die Konvention zur "Bewahrung des immateriellen Kulturerbes" bisher noch nicht ratifiziert hat, sollte die Anerkennung in den Staaten unseres gemeinsamen Kulturraumes dazu führen, dass die kulturelle Bedeutung der Falknerei auch einer breiteren deutschen Öffentlichkeit vermittelt werden kann.
Die revierübergreifende Krähenjagd endete am zweiten Tag der Beizjagd mit dem traditionellem „Strecke legen“ der erbeuteten Krähen und dem anschließenden verblasen der Strecke, in Hiddingen, vor dem Gasthaus Röhrs, dort wo sie am Vortage begonnen hatte. Eine erfolgreiche Beizjagd zeichnet sich allerdings weder durch hohe Streckenzahlen aus, noch kennt sie einen Trophäenkult. Die Trophäen des Beizjägers sind die schönen Jagdflüge, seltene Jagdanblicke und die tiefe Befriedigung, nach einem erfolgreichen Jagdflug seinen Schützling wieder auf die Faust nehmen zu können. Es ist die Liebe zum Greifvogel und das Eingebundensein in sein natürliches Jagdverhalten, das den Falkner fasziniert und umtreibt. Ein guter, spektakulärer Jagdflug mag deshalb zuweilen befriedigender sein als ein schnell gebeiztes Stück Wild. Und doch kommt auch die Beizjagd nicht ohne regelmäßigen Jagderfolg aus.